Erkennen Sie verborgene Muster Ihrer beruflichen Entwicklung
Jeder Mensch entwickelt, so Edgar Schein, im Verlaufe seiner beruflichen Laufbahn eine mehr oder weniger klar umrissene Vorstellung seiner eigenen Persönlichkeit, Eigenschaften und Merkmale, die von Edgar Schein als ›Karriereanker‹ bezeichnet werden. Dieses Selbstbild schließt verschiedene Antworten auf die zentralen Fragen des beruflichen Lebens ein, zum Beispiel:
- Wo liegen meine Talente, meine Fertigkeiten, Kompetenzen oder Schwächen?
- Was will ich erreichen? Was will ich in jedem Falle meiden?
- Welche Bedürfnisse habe ich? Wo liegen meine Motive?
- Welche Ziele will ich erreichen?
- Kann ich mich mit repetitiven Teilarbeiten anfreunden?
- Mit welchen Wertvorstellungen beurteile ich meine Arbeit.
- Lässt sich meine Arbeit mit den eigenen Werten vereinbaren?
- Finden sich in ihr meine persönlichen Wertvorstellungen wieder?
- Möchte ich ein hohes Maß an Selbständigkeit erreichen?
- Erfüllt mich meine Arbeit mit Stolz?
Die Einsichten aus diesem Selbstbild lassen sich freilich nicht innerhalb kurzer Zeit gewinnen. Sie sind insbesondere in der Anfangsphase der beruflichen Entwicklung noch unscharf und von manchen Fehleinschätzungen und schmerzhaften Enttäuschungen geprägt.
Mit welchem Erfolg die beruflichen Anforderungen von den Mitarbeitern bewältigt werden und wie sie emotional darauf reagieren, lässt sich in den seltensten Fällen zuverlässig einschätzen. Gerade für Führungsaufgaben werden »Schlüsselfähigkeiten und -fertigkeiten« vorausgesetzt, die im Verlaufe der beruflichen Entwicklung und Weiterbildung nur unzureichend oder gar nicht eingeübt werden.Erst mit zunehmenden Berufsjahren, mit der Ausweitung von Feldern der Verantwortung, der Zunahme unterschiedlicher Tätigkeiten und entsprechenden Rückmeldungen oder notwendig werdenden Personalentscheidungen innerhalb bestimmter Führungsaufgaben, werden die Kenntnisse der eigenen intellektuellen und motorischen Fähigkeiten, Neigungen und Wertvorstellungen zuverlässiger, zweifelsfreier, klarer und differenzierter.
»Das Selbstkonzept fungiert als Leitsystem und wirkt als Anker, der die Wahlmöglichkeiten beschränkt. Der Mensch entwickelt ein Gespür dafür, was ›seins‹ ist und was nicht.« (Edgar Schein, S. 25)
Edgar Schein prägt den Begriff vom »persönlichen Karriereanker«, der als eine Art Richtschnur für berufliche Entscheidungen und Weichenstellungen verstanden werden kann. Keinesfalls muss der persönliche Karriereanker mit der aktuellen Tätigkeit übereinstimmen und verwirklicht sein. Verschiedene Zwänge, Umstände oder familiäre Krankheiten können nicht selten dazu führen, dass die ausgeübte Tätigkeit nicht den eigenen persönlichen Neigungen und Fähigkeiten entspricht. Lösen sich die Beschränkungen und Zwänge auf oder ändern sich diese, ändert sich auch die Vorstellung, die jemand von sich selbst hat, das Selbstbild, die Werte und Motive. Es kommt gewissermaßen zu Anpassungen, zu Korrekturen des Karriereankers.
Das von Edgar Schein entwickelte Konzept des Karriereankers entstand aus einer Studie, die darauf abzielte, ein besseres Verständnis für das Entstehen von Managerkarrieren zu erlangen. In der 1961 an vierundvierzig Studenten des MBA-Studienganges an der Sloan School of Mangement begonnenen Langzeitstudie wurde in zeitlich auseinander liegenden Interviews und Umfragen (1961, 1962, 1963 und 5 Jahre nach dem Examen, nämlich 1973) Aufschluss über die jeweiligen Wertvorstellungen und persönlichen Einstellungen gewonnen. Aus den vorliegenden Daten konnten genaue Einsichten über die Entwicklung der »inneren Karriere« gewonnen werden. Die Studie zeigte deutlich, dass es bei den Befragten zwar signifikante Unterschiede in der beruflichen Entwicklung gab. Dagegen gab es für »die den zentralen Entscheidungen zugrundeliegenden Motive und Gefühlsmuster« bemerkenswerte Übereinstimmungen, die insbesondere von den Erfahrungen der ersten Berufsjahre geprägt war.
Die Aufnahme einer Arbeit, die mit dem eigenen Selbstbild nicht im Einklang stand, wurde als etwas erlebt, das Edgar Schein als »zu einem Punkt zurückgezogen werden« (Seite 27) charakterisiert. Auf diese Weise entstand das Symbol des »Ankers«.
Ausgehend von den Ergebnissen der Interviews und Umfragen in der Langzeitstudie wurden schließlich acht unterschiedliche Kategorien (Karriereanker) zur beruflichen Grundorientierung ermittelt:
Acht Karriereanker nach Edgar Schein
Technische/funktionale Kompetenz
Menschen mit diesem Karriereanker wollen in dem, was sie tun, besser werden, sie suchen vor allem herausfordernde Aufgaben. In dem Maß, in welchem sich die technologische Komplexität erhöht, steigt auch die Abhängigkeit der Organisationen von fachspezifischen Experten. Diese Gruppen müssen sie sich durchgehend weiter qualifizieren. Mitarbeiter suchen und schätzen geregelte Verfahren mit deutlichem Zielbezug.
Befähigung zum General Management
Menschen mit diesem Karriereanker wollen Verantwortung übernehmen, Unternehmen managen und Entscheidungen treffen. General Management: Analytische Fähigkeiten, emotionale Kompetenz, die Fähigkeit mit nur bruchstückhaften Informationen logische Entscheidungen zu treffen, zeichnen diesen Karriereanker aus. Derartige Fähigkeiten haben sehr breite Einsatzmöglichkeiten und sind i.d.R mit viel Prestige ausgestattet. Die gelegentlich verwendete deutsche Übersetzung von „General Management“ mit »Allgemeine Verwaltungstätigkeit« erscheint nicht hilfreich. Geeigneter wäre: ›Führung von Menschen‹ und ›Steuerung von Projekten‹. Mitarbeiter suchen und schätzen die Gelegenheiten, wo sie Führungsaufgaben übernehmen können.
Selbstständigkeit/Unabhängigkeit
Menschen mit diesem Karriereanker suchen die Freiheit; sie entwickeln sich am besten, wenn sie selbstständig schalten und walten können.
Solche Menschen profitieren stark von den Veränderungen und finden relativ einfach eine Arbeit oder nutzen die Möglichkeit, sich selbstständig zu machen. Mitarbeiter suchen und schätzen selbstständige Aufgabenerfüllung.
Sicherheit/Beständigkeit
Menschen mit diesem Karriereanker sind ein Langzeitarbeitsplatz und regelmäßige Tätigkeiten von großer Wichtigkeit. Arbeitsplatzsicherheit ist immer weniger gegeben. Die Abhängigkeit der Person von einer Organisation muss durch die Abhängigkeit der Organisation zur Person ausgeglichen werden. Umsetzbar soll diese Idee gegenseitiger Abhängigkeit durch erweiterte Qualifikation des betroffenen Mitarbeiters sein. Mitarbeiter trachten danach, ihre Karrieresituation zu stabilisieren.
Unternehmerische Kreativität
Menschen mit diesem Karriereanker wollen ein eigenes Unternehmen führen und ihr kreatives Potential ausleben; sie wünschen sich gesellschaftliche Anerkennung. Mobilität, Komplexität und Dynamik der Welt schaffen hochqualifizierten Personen neue Möglichkeiten. Die aus dieser unternehmerischen Tätigkeit entstehenden neuen Jobs sind oft Tätigkeitsgebiete für andere Ankergruppen. Mitarbeiter suchen und schätzen die Entwicklung neuartiger Problemlösungen.
Dienst und Hingabe für eine Idee oder Sache
Menschen mit diesem Karriereanker geht es um die Verwirklichung ihrer Werte und um die Verbesserung der Welt. Fairness ist wichtig für ihre Motivation. Solche Menschen wollen neben einem ausreichenden Einkommen etwas tun, das ihnen in einem größeren Kontext sinnvoll erscheint.
Totale Herausforderung
Menschen mit diesem Karriereanker suchen stetig totale Herausforderungen, sie stehen in ständigem Wettbewerb mit dem Ziel, sich gegenüber anderen zu behaupten und als Gewinner hervorzugehen. Menschen, die durch das Bestehen von Herausforderungen wie der Überwindung des scheinbar Unmöglichen, dem Lösen ungelöster Probleme ihren Gewinn definieren.
Lebensstilintegration
Menschen, mit diesem Karrieranker wollen ihren Lebensstil verwirklichen. Sie verzichten zum Beispiel auf einen beruflichen Aufstieg, wenn dieser nicht möglich ist. Eine »Doppelkarriere« in Arbeit und Familie ist bei Führungspersonen zu beobachten. Um diese Personen in den jeweiligen Organisationen zu halten, müssen sowohl berufliche Herausforderungen gegeben sein als auch von Seiten des Arbeitgebers die Bereitschaft bestehen, auf familiäre und oder private Umstände einzugehen, die in Form flexibler Abeitszeitmodelle oder der Bereitstellung von Betriebskindergärten notwendig wären.
Text:
© Dieter Johannsen und Dr. Evelin Fräntzel
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